Expertise von M H-B: § 44 SGB X i. V. m. § 40 SGB II
Ein normatives Strukturprinzip „gelebt ist gelebt“ hat im SGB II nie so existiert!
Auch im aktuellen § 44 SGB X ist diese Auffassung gerade eben definitiv nicht so geändert worden, zumindest soweit ist es das menschenwürdige Existenzminimum angeht, sondern noch besonders manifestiert.
Unter verfassungskonformer Auslegung besteht in Abs. 2 sogar ein bindendes Ermessen zur vollständigen Nachzahlung und natürlich der Fehlerkorrektur.
§ 44 SGB X Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes
- Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.
- Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
- Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.
- Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme des Antrags.
Wie wenig Unabhängigkeit und Mumm allerdings deutsche Nachkriegsjuristen besitzen, ist erschreckend. Warum haben die selber völlig abgesicherten Richter so viel Angst für ein Grundgesetz einzutreten, was gerade wegen seiner Klasse sogar – trotz der Möglichkeit aus Art. 146 – die deutsche Einheit überdauert hat, mittlerweile auch weltweit anerkannt ist und daher sogar Verbrechern und Mitgliedern terroristischer Vereinigungen für sich in Anspruch genommen haben, um ein gerechtes Verfahren und eine menschenwürdige Unterbringung in der JVA einzufordern? Ist es aber wirklich immer noch verzeihlich, dass Anwälte aus Angst über die Prozesskostenbeihilfe-Versagung im Sozialrecht ebenfalls nicht mehr so wachsam sind, hier als Organ der Rechtspflege aufzutreten? Ist es neuer Justizsport geworden, wieder armen Minderheiten einfach die Menschenrechte wegzunehmen, wie im Naziregime den Juden und anderen?
Der § 44 Abs. 1 SGB X ist laut Gesetzestext daher in allen Fällen, in denen eben eine solche Benachteiligung existiert so zu verstehen, dass sie spätestens bei Anhängen der Klage vor Gericht zu korrigieren ist, denn als „unrichtig erweist“ sich jede Unterschreitung einer Berechnung vom tatsächlich erforderlichen bzw. gesetzlich (höher) geregelten Bedarf.
Diese Pflicht zur Korrektur betont auch noch mal ausdrücklich der Abs. 2 der ja auch alle übrigen (also sogar die bei vorsätzlichen Falschangaben) noch benachteiligenden Fälle mit einschließt und gerade nicht – wie gern behauptet – so eine Nachzahlung hier von Anfang an ausdrücklich ausschließt. Er lässt sogar eine weitere interessante Lesart zu. Nach der muss der Verwaltungsakt entweder ganz zurückgenommen werden oder eben zumindest teilweise mit Wirkung (also wohl einer Auszahlung) für die Zukunft.
Natürlich ist diese teilweise Rücknahme nur dann überhaupt verfassungskonform, wenn so durch eine Neuberechnung dann der (damalige) Rechtsanspruch in seiner korrekten Höhe ermittelt wird. Die bis dahin also für den Rechtsanspruch nur erfolgte Teilbescheidung ist bezüglich des fehlenden Teils nachzuholen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Analogie des § 140 SGG im Gerichtsverfahren selber.
Eine solche fehlerfreie Berechnung benötigt der Kläger notfalls später, denn sollte er wieder Erwarten auf dem Sozialgerichtswege noch verlieren, wäre anschließend der in Art. 34 GG grundrechtlich verankerte Schadenersatzanspruch aus so einer – leider noch nicht strafbaren – Amtspflichtverletzung vermutlich noch vor anderen Gerichten durch zu klagen. Das Bundesverfassungsgericht hat nur den absoluten Automatismus zur Folge des zu geringen verfassungswidrigen Regelbedarfs verneint, nicht aber die Möglichkeit einer Antrags abhängigen Korrektur, wenn im Einzelfall (also eines individuellen Klägers) Unterdeckung nachweisbar vorlag.
Um bei Fehlern der Verwaltung oder sich erst später herausstellenden Rechtsfehlern keine unausweichliche Klageflut auszulösen und den Betroffenen zu ersparen – wegen der zu neuen Rechtsgestaltung – grundsätzlich alle Bescheide angreifen und offen zu halten, bis Klarheit über das Menschenwürdige Lebensminimum und somit eine Menschenwürdige Absicherung herrscht, war der Gesetzgeber weise genug, eine Antragspflicht zur Korrektur nicht einmal vorzuschreiben.
Fehlerfreies Verwaltungshandeln ist ja bereits Verfassungsstandard.
In der Rechtspraxis hat sich aber mittlerweile eingebürgert nur dann die Rechtsfehlerfreiheit von Verwaltungshandeln überhaupt noch herzustellen, wenn ein Antrag zur Überprüfung nach § 44 SGB X gestellt wurde. Im Grunde ist so ein Antrag also nur eine Einzelfall produzierende Erinnerungsfunktion zur Einhaltung des Rechts und damit schneller leichterer außergerichtlicher Fehlerkorrektur, die ansonsten bei Fehlern bzw. andauernder Weigerung durch Anwenden des siehe oben gerade nicht zu versperrenden Grundrecht des Rechtsweges ja über ein Anrufen des Gerichts behoben werden könnte.
Ohne eine vorhandene Zitierung kann das SGB II und das SGB X als Grundrechte konformes Gesetz nämlich gerade keine Grund- und Menschenrechte einschränken und auch keine Verletzung legalisieren und entschuldigen.
In der aktuellen Rechtspraxis ist aber erkennbar, dass wir kaum noch unabhängige Richter in diesem Lande haben, sondern nahezu nur sozial befreite politisch gesteuerte Marionetten die sich für Grundrechte feindliches Gedankengut wie willenlose Lemminge vor einen neoliberalen Kapitalismus ohne soziale Ader spannen lassen. Warum sind Richter so freiwillig bereit, seit 2005 Rechtsprechung als Scharlatanerie beweisen zu wollen? Möchten etwa die Organe der Rechtspflege das Grundgesetz dergestalt abschaffen, dass sie einem Staat des Rechts einfach verweigern?
Anders ist es nämlich nicht zu erklären, warum bei Anträgen auf Grundsicherung nach Grundgesetz ein Nachzahlungsanspruch über genau diesen § 44 SGB X ausgehebelt und rechtswidrig verweigert wird. Dabei hat der Gesetzgeber darüber ausdrücklich nur eine Nachzahlung spezieller Sozialleistungen ausgeschlossen. Für die normale Lebenssicherung existiert somit kein einfach gesetzlicher geregelter Verfall eines Nachzahlungsanspruchs, denn der Staat wäre ansonsten in der Lage durch eine Weigerung und Verschleppung bei der Bearbeitung und rechtlicher Umsetzung eine Lebenssicherung (Grundrecht) echt entfallen zu lassen. Das Bundesverfassungsgericht ordnete die Nachzahlung in RZ 220 aus 1 BvL bereits ab dem 09.02.2010 unumstößlich an. Aus der in diesem Urteil erfolgten Feststellung, dass zwar keine generelle Nachzahlung bei mit fehlerhaftem Recht aber ansonsten richtig erstellten Bescheiden erfolgen muss, kann nicht entnommen werden, dass diese Einschränkung für falsche Bescheide ebenso gelten sollte, muss, kann oder gar darf. Für welche Fälle gilt denn nun überhaupt eine Frist und gegebenen falls eine entsprechende Verkürzung.
§ 40 SGB II Anwendung von Verfahrensvorschriften
- Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 Absatz 4 Satz 1 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Ich setze zur Verdeutlichung diesen Satz daher noch einmal unmittelbar daneben.
- Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme des Antrags.
Wie kann ein wahrheitsliebender Grundgesetz treuer Richter hier übersehen, das eben dieser Zeitraum des § 44 Abs. 4 SGB X sich nur auf „Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile“ zu beziehen vermag. Dabei mag man übersehen, dass allen Richtern nicht auffällt, dass die danach folgende „Textersetzung“ im „§ 40 SGB II schon mangels passendem Teil im Ursprungstext absolut unmöglich ist. Das Gebot der Rechtsförmlichkeit erlaubt genau das zu ersetzen, was auch wirklich da ist. Die Formulierung des § 44 SGB X bleibt unbeschadet daher weiterhin auch für Bezieher von Leistungen nach dem SGB II Bestands kräftig. Denn eine eventuelle Unfähigkeit des Gesetzgebers ist – wegen der existenten Gewaltenteilung – auch nur durch ihn selber zu korrigieren. Richter haben bestehendes Recht anzuwenden oder sollten sie es (gegebenen falls auch nur formell) doch für verfassungswidrig – da fehlerhaft – halten, halt den gesetzlichen Richtern vorzulegen.
Ich erlaube mir auch noch vorsorglich aufzulisten, was „besondere Teile“ sind:
§ 68 SGB I Besondere Teile dieses Gesetzbuches
Bis zu einer Einordnung in dieses Gesetzbuch gelten die nachfolgenden Gesetze mit den zu ihrer Ergänzung und Änderung erlassenen Gesetzen als dessen besondere Teile:
- das Bundesausbildungsförderungsgesetz
- (weggefallen)
- die Reichsversicherungsordnung
- das Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte
- (weggefallen)
- das Zweite Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte
- das Bundesversorgungsgesetz, auch soweit andere Gesetze, insbesondere
- § 80 des Soldatenversorgungsgesetzes
- § 59 Abs. 1 des Bundesgrenzschutzgesetzes
- § 47 des Zivildienstgesetzes
- § 60 des Infektionsschutzgesetzes
- §§ 4 und 5 des Häftlingshilfegesetzes
- § 1 des Opferentschädigungsgesetzes
- §§ 21 und 22 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes
- §§ 3 und 4 des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes, die entsprechende Anwendung der Leistungsvorschriften des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen
- das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung
- das Bundeskindergeldgesetz
- das Wohngeldgesetz
- (weggefallen)
- das Adoptionsvermittlungsgesetz
- (weggefallen)
- das Unterhaltsvorschutzgesetz
- der Erste, Zweite und Dritte Abschnitt des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes
- das Altersteilzeitgesetz
- der Fünfte Abschnitt des Schwangerschaftskonfliktgesetzes
Regelbedarfe, Mehrbedarfe, KDU oder sonstige Bedarfe und Hilfen, Erziehungslebensminimum stehen dort gerade nicht.
Ende Expertise § 44 SGB X
-Weiterer Vortrag bleibt vorbehalten-
zitierte und passende Gesetze:
§ 140 SGG
(1) Hat das Urteil einen von einem Beteiligten erhobenen Anspruch oder den Kostenpunkt ganz oder teilweise übergangen, so wird es auf Antrag nachträglich ergänzt. Die Entscheidung muß binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils beantragt werden.
(2) Über den Antrag wird in einem besonderen Verfahren entschieden. Die Entscheidung ergeht, wenn es sich nur um den Kostenpunkt handelt, durch Beschluß, der lediglich mit der Entscheidung in der Hauptsache angefochten werden kann, im übrigen durch Urteil, das mit dem bei dem übergangenen Anspruch zulässigen Rechtsmittel angefochten werden kann.
(3) Die mündliche Verhandlung hat nur den nicht erledigten Teil des Rechtsstreits zum Gegenstand.
(4) Die ergänzende Entscheidung wird auf der Urschrift des Urteils und den Ausfertigungen vermerkt.
Art. 146 Grundgesetz
Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UN Resolution 217 A (III) 1948
Art. 8
Jeder hat Anspruch auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei den zuständigen innerstaatlichen Gerichten gegen Handlungen, durch die seine ihm nach der Verfassung oder nach dem Gesetz zustehenden Grundrechte verletzt werden.
Art. 22
Jeder hat als Mitglied der Gesellschaft das Recht auf soziale Sicherheit und Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit sowie unter Berücksichtigung der Organisation und der Mittel jedes Staates in den Genuss der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen, die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind.
Art. 25
1. Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwen, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.
2. Mütter und Kinder haben Anspruch auf besondere Fürsorge und Unterstützung. Alle Kinder, eheliche wie außereheliche, genießen den gleichen sozialen Schutz.